Secretary - Womit kann ich dienen? (2002) (2024)

Zu Beginn des Films „Secretary – Womit kann ich dienen?“ sehen wir eine junge Frau, die durch einen Büroraum schreitet und gewöhnlichen Tätigkeiten einer Sekretärin nachgeht: Sie schaltet eine Schreibtischlampe ein, heftet Dokumente mit einem Tacker zusammen, zieht ein Blatt Papier aus der Schreibmaschine, gibt zwei Zuckerwürfel in eine Tasse Kaffee und bewegt sich mit dem Heißgetränk sowie den Unterlagen in einen Raum am Ende eines langen Flures.

Ganz und gar nicht gewöhnlich ist hingegen, dass sie für diese Tätigkeiten teilweise ihr Kinn oder ihren Mund einsetzt, da sich ihre ausgestreckten Hände in den Schlaufen eines schwarzen Stocks befinden, welcher waagerecht auf ihren Schultern liegt und mit einem Halsband an ihr befestigt ist. Dieser Vorgang könnte überaus lächerlich und erniedrigend wirken – doch die Frau verrichtet all dies mit einer solchen Grazie, mit so viel tänzerischer, genüsslicher Anmut, dass wir schnell begreifen: Es ist ein Spiel, voller Lust, Erregung und Hingabe.

Ehe wir mehr darüber erfahren, springt die Handlung sechs Monate zurück: Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) wird am Tag der Hochzeit ihrer Schwester (Amy Locane) aus einer Heilstätte entlassen, in die sie nach einem tiefen Messerschnitt (den ihr Umfeld als Suizidversuch wertete) eingewiesen wurde. Was Lee zu Hause erwartet, ist eine Feier aus der rosaroten RomCom-Hölle sowie die von häuslicher Gewalt geprägte Beziehung zwischen ihrem alkoholsüchtig-melancholischen Vater (Stephen McHattie) und ihrer verhuschten Mutter (Lesley Ann Warren). Alsbald fügt sich Lee abermals Schmerzen zu, indem sie ihren Oberschenkel traktiert.

Nach einem Schreibmaschinenkurs tritt sie eine Stelle als Schreibkraft bei dem Rechtsanwalt E. Edward Grey (James Spader) an. Zwischen den beiden entwickelt sich am Arbeitsplatz ein dominant-submissives Verhältnis, in dessen Verlauf Grey lernen muss, sich nicht für seine Neigung zu schämen, indessen es Lee obliegt, sich von ihrer Familie zu emanzipieren und die vorsätzliche Verletzung des eigenen Körpers zu unterlassen.

Bei der filmischen Präsentation von BDSM (noch dazu in Kombination mit dem Namen „Grey“) denkt man heutzutage leider unweigerlich an die hanebüchene Fifty-Shades-of-Grey-Reihe. Doch während die Adaption der gleichnamigen Erotikroman-Trilogie von E. L. James mit einer völlig falschen Darstellung dieser sexuellen Vorliebe operiert, welche eher zu einer Verbreitung verzerrter Vorstellungen über BDSM statt zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema beiträgt, nimmt der 2002 von Steven Shainberg inszenierte Mix aus romantischem Drama und schwarzer Komödie seine Figuren ernst.

BDSM ist hier keine mit Stalking verknüpfte Laune, sondern schlicht und ergreifend eine alternative Form, sexuelle Lust auszuleben. Maggie Gyllenhaal muss in ihrer Rolle nicht unmotiviert über ihre eigenen Füße stolpern und wie eine Grundschülerin auf Bleistiften herumkauen, James Spader muss als Mr. Grey nicht den irrational eifersüchtigen Protz geben, ebenso muss der Plot nicht mit Psychopathie und Kriminalität „aufgepeppt“ werden, um überhaupt etwas zu erzählen zu haben – und in Momenten des Glücks, etwa wenn Grey seine Sekretärin auf dem Schreibtisch sattelt und diese daran sichtliches Vergnügen findet, ist kein trashiger Pop, sondern die Stimme von Leonard Cohen zu hören. Hallelujah!

Mary Gaitskill, die Autorin der gleichnamigen Kurzgeschichte aus dem Prosaband Bad Behavior (1988), hat das Drehbuch zu Secretary von Erin Cressida Wilson und dessen Umsetzung als „die Pretty-Woman-Version“ ihres Werks bezeichnet – und gewiss ist Secretary im Vergleich zur Vorlage deutlich gefälliger und hollywoodtauglicher geraten. Bemerkenswert ist aber, dass es zu keiner Sekunde zu einem Überstülpen von RomCom-Mustern und daher nicht zu einem Verrat an den Figuren kommt, sondern vielmehr zu einer äußerst stimmigen Aneignung: Skript und Regie nutzen die gängigen Standardsituationen (bis hin zum Happy End), bringen diese jedoch mit einer gehörigen Portion Eigenheit beträchtlich durcheinander – und befördern damit alle biederen Nicholas-Sparks-Verfilmungen und Konsorten mit einem beherzten Schlag auf den Hintern aus dem Herrschaftsgebiet filmischer Liebesfiktion. Denn wieso sollte der im Kern ziemlich lustfeindliche Kino-Mainstream den alleinigen Anspruch auf die üblichen, als romantisch etablierten Dramaturgien und Ästhetiken haben?

Secretary zeigt, und dies ist vielleicht der wichtigste Unterschied zu Fifty Shades of Grey, zwei Menschen, die durch BDSM zu sich selbst und zueinander finden – die sich gegenseitig respektieren und die lernen (müssen), einander zu vertrauen. Monieren lässt sich, dass hier, wie auch in den Romanen von E. L. James und deren Leinwand-Adaptionen, die psychische Erkrankung einer der beiden Hauptfiguren in direkten Zusammenhang mit BDSM gebracht wird, als sei eine solche Neigung nur als Folge einer seelischen Beeinträchtigung denkbar – was eindeutig nicht der Fall ist. Im Gegensatz zur Fifty-Shades-of-Grey-Trilogie, in welcher Christian Greys schweres Trauma nur oberflächlich angerissen wird und dessen Vorliebe für BDSM (die unter anderem schon zu einer geistig umnachteten Ex-Gespielin führte) von der Heldin Anastasia Steele auf ein züchtiges Maß reduziert werden muss, erfasst Secretary Lees psychische Verfassung indes als Konflikt, den es wirklich zu erkennen und zu überwinden gilt, ehe sich das Paar dem dominant-submissiven Verhältnis voll und ganz hingeben kann. Als sexuelle Praktik wird BDSM in Shainbergs Werk nicht mit Gefährlichkeit und Leid assoziiert, sondern ist Entdeckung, Befriedigung, Erfüllung, Befreiung.

Wer sich nicht vorstellen kann, dass Tippfehler, Rotstifte oder im Kriechen zugestellte Papiere sehr sexy sein können, dem sei versichert: Nach diesem Film wird es daran nicht mehr den geringsten Zweifel geben. Passenderweise wartet die nun veröffentlichte Special SM Edition zum Film neben Interviews und Behind-the-Scenes-Einblicken mit einem kleinen SM&Toys-Ratgeber auf, in welchem zentrale Begriffe sowie das nötige Rüstzeug kurz erklärt werden.

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Author: Aron Pacocha

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